Auf dass wir nicht mehr Unmündige seien
Epheser 4.11-16 [Schlachter 2000]
Und Er hat etliche als Apostel gegeben, etliche als Propheten, etliche als Evangelisten, etliche als Hirten und Lehrer, zur Zurüstung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes des Christus, bis wir alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen, zur vollkommenen Mannesreife, zum Maß der vollen Größe des Christus; damit wir nicht mehr Unmündige seien, hin- und hergeworfen und umhergetrieben von jedem Wind der Lehre durch das betrügerische Spiel der Menschen, durch die Schlauheit, mit der sie zum Irrtum verführen, sondern, wahrhaftig in der Liebe, heranwachsen in allen Stücken zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus. Von ihm aus vollbringt der ganze Leib, zusammengefügt und verbunden durch alle Gelenke, die einander Handreichung tun nach dem Maß der Leistungsfähigkeit jedes einzelnen Gliedes, das Wachstum des Leibes zur Auferbauung seiner selbst in Liebe.
Die «Kindlein», von denen der Apostel Johannes im 2. Kapitel seines ersten Briefes redet (Vers 13), sind, wie die «Jünglinge» und «Väter», Glieder der Familie Gottes und befinden sich in einem durchaus normalen Zustand, da sie noch nicht lange im Glauben sind. Doch sind diese «Kindlein» berufen, zu wachsen. Ohne Wachstum blieben sie in der Entwicklung zurück; sie gelangten nie zum Zustand eines «erwachsenen Mannes» und hätten nie einen «geübten Sinn» zur Unterscheidung des Guten sowohl als auch des Bösen (Hebr. 5,12-14).
In der uns beschäftigenden Stelle des Epheserbriefes wird darauf hingewiesen, dass der im Wachstum zurückgebliebene Christ der Gefahr ausgesetzt ist, hin und her geworfen und umhergetrieben zu werden «von jedem Winde der Lehre, die da kommt durch die Betrügerei der Menschen, durch ihre Verschlagenheit zu listig ersonnenem Irrtum». Nicht nur ist dieser anormale Zustand ein unermesslicher Verlust für den Christen selbst, sondern auch für den ganzen Leib des Christus. Denn jeder Gläubige hat als Glied dieses Leibes darin eine Funktion zu dessen Wachstum zu erfüllen. Wenn er aber, statt sich normal zu entwickeln, im Zustand eines «Kindleins» stehen bleibt, wird er auch nichts zur Auferbauung des Leibes beitragen.
Der Leib erleidet unberechenbaren Schaden, wenn nicht jedes Glied an dem ihm bestimmten Platz seine Wirksamkeit ausübt. Darum hat der Herr dem Leibe Gaben gegeben. Er wusste, dass wir in geistlicher Hinsicht nicht zuzunehmen vermögen, ohne dass uns durch diese Gaben Hilfe zuteil wird. Es sollte uns nicht genügen, das ewige Leben zu besitzen. Der Besitz dieses Lebens macht uns ja fähig, von den Hilfsquellen, die der Herr uns gegeben hat und die uns unumgänglich nötig sind, Gebrauch zu machen. Wenn wir aber aus diesen Gaben keinen Nutzen ziehen, bleiben wir in geistlicher Hinsicht in der Kindheit stehen, was geradeso anormal ist, wie wenn ein Zehnjähriger im Säuglingszustand geblieben wäre.
Im 4. Kapitel des Epheserbriefes werden wir belehrt, wie der Herr für die Zeit Seiner Abwesenheit zur Auferbauung Seines Leibes Vorsorge getroffen hat.
Jedem einzelnen Glied ist eine bestimmte Gnade gegeben zum Funktionieren des ganzen Leibes (V. 7) und darüber hinaus hat der Leib alle erforderlichen Gaben empfangen, damit jedes Glied an seinem Platze wirksam sein könne, «nach der Wirksamkeit in dem Maße jedes einzelnen Teiles», und so das Wachstum des Leibes bewirkt werde zu seiner Selbstauferbauung in Liebe (Vers 16). Das ist die Belehrung der Verse 8-15. Das Ziel ist also die Auferbauung des Leibes Christi; damit aber dieses Ziel erreicht werden kann, ist es nötig, dass jedes Glied sich entwickle und Fortschritte mache, indem es aus den Gaben, die der Herr zu diesem Zweck gegeben hat, Nutzen zieht.
Aus dem 12. Vers sehen wir, dass die Gaben zur Vollendung der Heiligen gegeben worden sind. Ohne die Wirkungen des Wortes auf Herz und Gewissen kommt es nicht zu dieser Vollendung. Wievieles ist nach der Bekehrung in uns zu korrigieren, wievieles gibt es da zu lernen! Wenn dieses Werk in uns nicht getan wird, kann sich der neue Mensch nicht entwickeln und wir sind unfähig, den Dienst zu erfüllen, den jeder von uns vom Herrn empfangen hat. Es ist eine unumgängliche Notwendigkeit, dass diese Vollendung stattfinde, damit durch jedes Glied des Leibes wie auch durch jede Gabe «das Werk des Dienstes» erfüllt wird. Wenn aber dieses Werk des Dienstes nicht geschieht, wie kann dann die Auferbauung des Leibes des Christus erfolgen?
Nachdem durch die Gabe des Evangelisten eine Seele zum Herrn geführt worden ist, benötigt sie den Dienst der Gaben der Hirten und der Lehrer. Es ist notwendig, dass sie die Herrlichkeiten ihres Herrn und Heilandes kennenlernt, wie auch die wunderbare Stellung, die sie in Ihm besitzt und den Wandel, der daraus resultieren soll. Alle sollen zur «Einheit des Glaubens und zur Erkenntnis des Sohnes Gottes» gelangen, nicht nur zur Erkenntnis des Heilandes. Der Glaube hat den Sohn Gottes in der Herrlichkeit zum Gegenstand. Der Apostel Johannes sagt: «Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt dass Jesus der Sohn Gottes ist?» Der Sohn Gottes ist in der Welt, die Ihn verworfen hat, der Gegenstand unseres Herzens. Das Herz ist da, wo sein Schatz ist. – Als der Herr den Menschen, den Er sehend gemacht hatte, wiederfand und erfuhr, dass er aus der Synagoge hinausgeworfen worden sei, fragte Er ihn: «Glaubst du an den Sohn Gottes?» Für das geöffnete Auge brauchte er jetzt einen neuen Gegenstand. – Nach seiner Bekehrung predigte Paulus in den Synagogen «Jesum, dass dieser der Sohn Gottes ist» (Apostelg. 9,20).
Es ist also die Erkenntnis des Sohnes Gottes, die uns von der Welt löst und uns Ihm gleichförmig macht. Mehr noch: der Sohn Gottes in der Herrlichkeit, wie Ihn Paulus in seinen Schriften darstellt, ist nicht nur der Heiland, der Herr, der Gegenstand des Herzens, sondern auch der Ausdruck der Stellung jedes Gläubigen in der gegenwärtigen Haushaltung. Der Gläubige, der vom Herrn nur weiß, dass Er für ihn am Kreuze gestorben ist, ist wohl errettet; aber er ist nicht vollendet. Der Herr will, dass er zum Maße des «erwachsenen Mannes» gelange; das ist die Bedeutung dieses Ausdrucks. Der Herr ist nicht mehr auf dem Kreuze, auch nicht mehr im Grabe: Er ist in der Herrlichkeit droben, der Ausdruck dessen, was alle, die an Ihn glauben, in Ihm geworden sind. Der Zustand des erwachsenen Mannes ist also der Zustand des Gläubigen, der nicht nur erfasst hat, dass Christus für ihn gestorben ist, sondern auch dass er, der Gläubige, in Ihm in die Herrlichkeit versetzt ist, wo Gott ihn gemäß den Vollkommenheiten der Person und des Werkes Christi sieht. Der Gläubige ist vollkommen; was könnte man einer solchen Stellung noch beifügen? Der Zustand des erwachsenen Mannes führt zu einem Wandel, einem praktischen Leben, das der Höhe dieser herrlichen Stellung entspricht. Nur wer erfasst hat, dass er durch den Glauben der Stellung nach in Christo, im Himmel ist, vermag einen himmlischen Wandel zu führen und hienieden Seine Wesenszüge darzustellen. Durch die Belehrungen des Heiligen Geistes mittels der Gaben gelangen wir nicht nur zum Zustand des erwachsenen Mannes, sondern auch «zum Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus». Dieses Maß werden wir erreicht haben, wenn wir Ihm in der Herrlichkeit droben gleichförmig sind. Wohl sind es nicht die Gaben, die uns zu diesem Endzustand führen, aber durch ihren Dienst vermögen wir im praktischen Wandel, in der sittlichen Gleichförmigkeit mit dem Herrn Fortschritte zu machen, damit unsere Verherrlichung droben sich mit unserem Wachstum hienieden sozusagen verschmelzen kann.
Fragen wir uns nun: Welchen Gebrauch haben wir bis jetzt von diesen Gaben gemacht? Welche Fortschritte haben wir erzielt? – Wenn wir in der Erkenntnis des Sohnes Gottes und unserer Stellung in Christo nicht fortschreiten und dem Zustand des erwachsenen Mannes nicht zustreben, wenn es nicht unser Ziel ist, zum Maße des vollen Wuchses der Fülle des Christus zu gelangen, so bleiben wir ohne geistliche Entwicklung, im Zustande eines «Kindleins». Wir haben dann nicht die Fähigkeit, die verführerische Stimme jener falschen Lehrer zu erkennen, welche Leute hinter sich her sammeln. Wir werden dann hin und her geworfen und umhergetrieben von jedem Winde der Lehre und durch die Verschlagenheit der Menschen auf Wege des Irrtums verführt. Wer die Stimme des Guten Hirten nicht genügend kennt, wird sie leicht mit der Stimme der Fremden verwechseln. Wenn eine neue Lehre kommt, nimmt er sie an und verlässt das, was er vom Herrn empfangen hat.
Anderseits kann man dem, der die Erkenntnis des Sohnes Gottes genießt, keine Lehre bringen, die außerhalb Christi ist, und kann dem, der «vollendet» ist, nichts hinzufügen. Er nimmt keine Lehren an, die sich auf falsche Deutungen prophetischer Ereignisse stützen; er lässt sich nicht durch Glaubensheilungen oder Wunderwerke verführen; man kann ihm nicht mit der Beachtung des Sabbaths oder mit Geboten kommen, die sich auf den Menschen im Fleische beziehen, oder mit irgendwelchen andern falschen Lehren, die heute in der Christenheit zirkulieren. Wessen Herz von Christo erfüllt ist, wer Ihm gleichförmig zu werden wünscht und Ihn zu gewinnen sucht, wer ohne Ihn nicht leben kann, wird bald merken, dass alle diese «verschiedenerlei und fremden Lehren», die so biblisch erscheinen und mit so süßen Worten vorgetragen werden, nur von dem einzigen Mittel wegführen, durch das man zu Ihm hin wachsen kann.
Der Apostel setzt dem 14. Vers den 15. Vers gegenüber: «Sondern die Wahrheit festhaltend in Liebe, lasst uns in allem heranwachsen zu ihm hin, der das Haupt ist, der Christus.» Die Wahrheit steht im Gegensatz zu der Betrügerei der Menschen und ihrer Irrwege. Wir besitzen in Christo die Wahrheit bezüglich aller Dinge; Er ist das Maß, nach welchem wir alles messen können, was wir sehen und hören. In Ihm besitzen wir nicht nur die Wahrheit, sondern auch die vollkommene Liebe, und wir sind ihre Gegenstände. Sie drängt uns zur Wirksamkeit und ist das Maß unseres ganzen Wandels.
Wenn wir «die Wahrheit in Liebe festhalten», werden wir unter den Wirkungen des Wortes in allen Vollkommenheiten Christi wachsen; wir werden uns nicht begnügen, nur einzelne Seiner Charakterzüge sehr unvollkommen zu offenbaren, während die anderen durch unsere natürlichen, nicht gerichteten Charaktereigenschaften verdunkelt sind; sondern werden suchen, «in allem» heranzuwachsen zu Ihm hin.
Dazu benötigen wir den Dienst des Wortes. Der Evangelist führte uns zu Christo als zu unserem Heiland hin. Die Hirten und die Lehrer aber nähren unsere Seelen mit Christo, belehren uns über alles, was Seine Person betrifft und über die wunderbaren Resultate Seines Werkes. Der Gläubige, der sich von Ihm nährt, Seine Bedürfnisse an dieser göttlichen und himmlischen Quelle stillt und in der praktischen Beziehung zum Haupte aufrechtgehalten wird, ist wie ein Kanal, der vom Haupte her zum Leibe hin die erforderliche Energie zu dessen Auferbauung und normaler Entfaltung weiterleitet. Dann wird sich das verwirklichen, was im 16. Vers gesagt wird: «Aus welchem (Haupt) der ganze Leib, wohl zusammengefügt und verbunden durch jedes Gelenk der Darreichung, nach der Wirksamkeit in dem Maße jedes einzelnen Teiles für sich das Wachstum des Leibes bewirkt zu seiner Selbstauferbauung in Liebe.»
Das Ziel des Dienstes nach dem Worte Gottes besteht also darin, die Gläubigen mit Christo in praktische Beziehung zu bringen, im Gegensatz zum Ziel jener Menschen, von Jenen der Apostel in Apostelgeschichte 20,30 redet, die «verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her.» In dieser Weise von Christo genährt, vermag jedes Glied, welches auch seine Funktion sei, nach dem ihm gegebenen Maße das Wachstum des Leibes zu bewirken zu seiner Selbstauferbauung in Liebe. Die Liebe wird der Tätigkeit jedes einzelnen Gliedes, wie auch der Selbstauferbauung des ganzen Leibes den Stempel aufdrücken.
Erinnern wir uns stets daran, dass jedes von uns Gläubigen ein Glied am Leibe des Christus ist und wir alle in diesem göttlichen Organismus eine Aufgabe zu erfüllen haben, dass dies aber nur geschehen kann, wenn wir uns von Christo nähren, Ihm praktisch anhangen und Ihn zum Gegenstand unserer Herzen haben. Daher dürfen wir nicht im Zustand von «Kindlein» bleiben.
Im Allgemeinen leiden wir in den Versammlungen an der Abnahme geistlicher Kraft. Wenn die Glieder des Leibes nicht von den herrlichen Dingen, die von Christo her kommen, genährt sind, kann es nicht anders sein. Es mangelt an der Erkenntnis des Herrn; Er hat den Platz nicht, der Ihm in unseren Herzen zukommt. Die Welt und die Dinge, die in der Welt sind, nehmen diesen Platz ein. Man mag verstandesmäßig seine Stellung in Christo kennen, aber der Wandel stimmt nicht damit überein. Die Wahrheit hat nicht den Wert, den sie für unsere Herzen haben sollte. Man sucht das, was einem selbst gefällt, anstatt das, was dem Herrn gefällt. Und wenn eine fremde Stimme angenehm klingt, hört man ihr zu.
Wir besitzen ein mächtiges und wirksames Heilmittel gegen alle diese Erscheinungen: das Wort Gottes. Sinnen wir darüber nach, verwirklichen wir es im täglichen Leben, und wir werden gegen den Strom zu schwimmen vermögen, statt von ihm fortgerissen zu werden.
Als der Herr im Laufe des vergangenen Jahrhunderts den Mitternachtsruf ertönen ließ: «Siehe, der Bräutigam! Gehet aus, ihm entgegen!» machte Er gleichzeitig bemerkenswerte Gaben offenbar, durch welche die aus ihrem Schlaf aufgeweckte Kirche auferbaut werden und in Erwartung Seines Kommens zur Gleichförmigkeit mit ihrem Haupte hinwachsen konnte. Heute besitzen wir alles, was der Herr damals gegeben hat, in den zahlreichen Schriften. Wir empfangen dadurch kostbare Belehrungen über das Wort und dürfen so zum Zustand des erwachsenen Mannes hingelangen. Aber welchen Gebrauch haben wir davon gemacht?
Gott möge in uns allen das Bedürfnis wecken, durch diese Schriften unterrichtet zu werden, um unser Vorbild besser kennenzulernen und besser nachahmen zu können, um von Ihm und für Ihn zu leben. Bald werden wir am Ziele angelangt sein und keine Möglichkeit mehr haben, inmitten dieser Welt, die Ihn verworfen hat, ein Zeugnis für Ihn zu sein. Der Herr ist nahe! «Und dieses noch, da wir die Zeit erkennen, dass die Stunde schon da ist, dass wir aus dem Schlaf aufwachen sollen; denn jetzt ist unsere Errettung näher, als da wir geglaubt haben: die Nacht ist weit vorgerückt, und der Tag ist nahe. Lasst uns nun die Werke der Finsternis ablegen und die Waffen des Lichts anziehen» (Römer 13,11-12).