Der Prüfstein für unsere Herzen

Der Prüfstein für unsere Herzen

Psalm 63, Verse 1-9

David ging durch die verschiedensten Umstände, die bei ihm tiefe Herzensübungen hervorriefen. Der Heilige Geist benützte sie, um ihn anzutreiben, seinen Erfahrungen in Psalmen Ausdruck zu geben. Er war sich dabei bewusst, dass seine Gesänge inspiriert waren. Er sagte: «Es spricht David… der Liebliche in Gesängen Israels: Der Geist Gottes hat durch mich geredet, und sein Wort war auf meiner Zunge».

Seine Psalmen geben uns daher nicht nur Einblick in seine eigenen Herzensübungen. Der Geist Gottes verlieh ihnen eine viel weittragendere Bedeutung.

So hat auch unser Psalm einen prophetischen Gehalt:

  1. Er gibt – wie die andern – den Empfindungen des gläubigen Überrestes Israels Ausdruck, der vor der Aufrichtung des kommenden Tausendjährigen Reiches von der ungläubigen Masse des Volkes verfolgt und bedrängt wird.
  2. Er ist ein Zeugnis von den innerlichen Gefühlen Jesu Christi auf Seinem Weg durch diese Welt, die für Ihn eine Wüste war.

Lasst uns für einige Augenblicke beim zweiten Punkt stehen bleiben! Wenn wir die einzelnen Verse als Ausdruck der innerlichen Gefühle betrachten, die das Herz des Menschen Christus Jesus auf Seinem Gang durch die Welt bewegten, so wird uns dieser Psalm zu einem leuchtenden, unveränderlichen Prüfstein.

An diesem Prüfstein Seiner Gesinnung sollten wir den Stand unserer eigenen Herzen immer wieder kontrollieren. Kein anderes Maß darf uns genügen. Der Herr ruft uns ja auf, IHM nachzufolgen. Wir sollen «von Ihm lernen», als solche, die «nicht von der Welt sind», gleichwie Er nicht von der Welt war. Er hat uns «in die Welt gesandt», nicht damit wir von der Welt leben und uns in ihr so gut wie möglich heimisch machen. Wenn uns in diesem Psalm die verborgenen Zuflüsse des Herzens Jesu aufgedeckt werden, so geschieht es, damit auch wir unsere Herzen diesen Quellen öffnen und vor jedem andern Einfluss verschließen.

Wie tief mag unser Herr den Szenenwechsel empfunden haben, als Er auf diese Erde herab kam! Von Ewigkeit her – vor dem Anfang aller Schöpfung bei Gott – war Er, «das Wort», nun Fleisch geworden und wohnte unter uns Sündern und Feinden Gottes, in einer gefallenen Schöpfung! (Vergl. Johannes 1,1 und 14.)

Dort Schoßkind bei Gott und Tag für Tag Seine Wonne, auf dem Throne der höchsten Ehre und Majestät. Dort vor Grundlegung der Welt von dem Vater geliebt, in einem Bereich, wo alles dem Wesen, dem Lichte und der Liebe Gottes entsprach. Dort über den Engeln, diesen vornehmsten und erhabensten Geschöpfen, diesen Werkzeugen der Macht und Regierung Gottes.

Hier aber war Er Mensch wie wir, ausgenommen die Sünde, unter die Engel erniedrigt. Sein Leib war denselben Schwachheiten unterworfen wie der unsere: Er wurde müde, hatte Hunger und Durst. Hier als der «geliebte Sohn», an dem Gott «Wohlgefallen» hatte, ein Gegenstand des Hasses der Menschen, weil Er das Licht war, das die bösen Werke der Menschen beleuchtete. Hier wurde Er, der von Gott gesalbte, rechtmäßige König Israels und der ganzen Erde, von Seinem eigenen Volke verworfen und verfolgt. Sie wollten nicht, dass Er über sie herrsche. Hier begegnete Er während Seines ganzen Dienstes auf Schritt und Tritt dem Widerspruch der Sünder. Selbst bei Seinen eigenen Jüngern zeigte sich soviel Unverstand!

Wie konnte Er auf diesem Wege, auf den doch der Schatten Seines Kreuzes fiel, auch nur von Freude, von «meiner Freude» und von «meinem Frieden» reden? (Joh. 15,11; 17,13; 14,27).

Das Buch der Psalmen gibt uns Antwort. An vielen Stellen wird uns darin das Geheimnis der Glückseligkeit Dessen enthüllt, Der wie keiner von uns auf verschiedenste Weise geprüft wurde und Den «Übel bis zur Unzahl» umgeben haben: Gott selbst, Gott allein war die Quelle Seiner Freude und Seines Friedens.

Auch im Bilde des 63. Psalmes, der uns jetzt beschäftigt, sehen wir die Seele Christi an dieser Quelle schöpfen. Wenn wir nun die Verse 1-8 unter diesem Gesichtswinkel betrachten, so lasst uns bei jeder Feststellung die bezügliche Haltung unseres eigenen Herzens überprüfen. Dann werden wir einen doppelten Segen empfangen.

O Gott, du bist mein Gott; früh suche ich dich! Meine Seele dürstet nach dir; mein Fleisch schmachtet nach dir in einem dürren, lechzenden Land ohne Wasser,… (Vers 2).

Für Jesum war diese Welt «ein dürres und lechzendes Land ohne Wasser», mochte sie Ihm ein freundliches Gesicht zeigen, oder ihren wahren Charakter enthüllen. Nie ließ Er sich beirren. Vor Seinen Augen war sie bloß und aufgedeckt in ihrem gottfeindlichen, sündlichen Wesen. Er wusste, «was im Menschen war», und wie hätte Er sich ihrer eitlen Werke erfreuen können, denen der Geruch der Sünde anhaftete? Unmöglich konnte Er von der unreinen Speise der Welt kosten und aus ihren trüben Bächen trinken.

Mit dem ganzen Durst Seiner Seele kam der Mensch Christus Jesus zu Gott. Er, «der Abdruck des Wesens Gottes» konnte die Bedürfnisse Seiner göttlichen Natur nur in Ihm stillen. Es ging Ihm nicht um alle möglichen Dinge, sondern um Gott selbst: «Frühe suche ich dich. Es dürstet nach dir meine Seele, nach dir schmachtet mein Fleisch…»

Gewiss, zwischen Ihm und uns besteht einesteils ein himmelhoher Unterschied. Er war nicht nur Mensch, sondern auch Gottes Sohn. Aber auch wir sind durch den Glauben «aus Gott Geborene» geworden und «Teilhaber der göttlichen Natur», die nur von Gott leben kann.

Jesus suchte Gott frühe. So wird uns zum Beispiel berichtet: «Und frühmorgens, als es noch sehr dunkel war, stand er auf und ging hinaus und ging hin an einen öden Ort und betete daselbst.» Er erwachte mit dem Durst nach Gott. Dieser trieb Ihn zum «aufstehen», obwohl Sein Leib nach dem kurzen Schlaf wohl noch gerne geruht hätte. Und «Er ging hinaus» aus der Stadt, in der die Menschen noch schliefen, aber bald Betrieb machen würden, und «ging hin an einen öden Ort». Diese Mühe war Ihm nicht zu viel. Seine Seele begehrte allein zu sein mit Gott, an einem Ort, wo Er ungestört und mit lauter Stimme mit Ihm Zwiegespräch halten konnte. Das war für Ihn keine trockene Pflicht. Es kamen sogar Stunden in Seinem Leben, «da er sowohl Bitten als Flehen dem, der ihn aus dem Tode zu erretten vermochte, mit starkem Geschrei und Tränen dargebracht hat».

«dass ich deine Macht und Herrlichkeit sehen darf, gleichwie ich dich schaute im Heiligtum.» (Vers 3)

Gottes Sohn war vom himmlischen Heiligtum her auf diese Erde herabgekommen. Nun aber lebte Er als abhängiger Mensch auf der Erde, und es bot sich Ihm jetzt ein trauriges Bild. Hier hatte scheinbar der Fürst dieser Welt die Oberhand. Hinweisend auf alle Reiche des Erdkreises konnte der Teufel Ihm einmal sagen: Alle diese Gewalt und ihre Herrlichkeit ist mir übergeben. Jesus, der «zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt» war, fand Sein Volk nicht nur unter dem Joch der Römer, sondern auch in der viel schlimmeren Knechtschaft Satans. Und was Ihn am meisten schmerzte: Israel wollte sich nicht erlösen lassen. Ergreifend klagte Er: «Jerusalem, die da tötet die Propheten und steinigt die zu ihr gesandt sind! Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Brut unter die Flügel, und ihr habt nicht gewollt!» Wenige nur waren es, die Ihn aufnahmen; und Er musste sich sagen: «Umsonst habe ich mich abgemüht, vergeblich und für nichts meine Kraft verzehrt… und Israel ist nicht gesammelt worden.» Ihn, die Hoffnung Israels, würden sie sogar aus dem Weinberg hinauswerfen und töten!

Was hielt Ihn in solch niederdrückenden Umständen aufrecht? Oh, Sein Herz hielt ständige Einkehr im Heiligtum droben. Dort «sah» Er die unveränderliche Macht und Herrlichkeit Gottes bereitstehen. Er wusste, diese Macht wird sich zuerst an den Menschenherzen erweisen. Sowohl aus Israel als auch aus den Nationen wird sie sich in Gnade ein himmlisches Volk sammeln. Dann wird sie sich wieder Israel als dem alten Bundesvolk zuwenden und unter ihm ein Werk der Gnade tun, so dass ein gläubiger Überrest Mich als Messias und König der Könige erwarten wird. Schließlich wird sie mit allen meinen Widersachern abrechnen und alle meine Feinde unter meine Füße legen. Dann wird die Welt mich selbst, den Sohn des Menschen, kommen sehen auf den Wolken des Himmels «mit Macht und großer Herrlichkeit».

Ja, dieses Hinschauen auf die Macht und Herrlichkeit Gottes war die Stärkung, deren der Sohn des Menschen in Seinem anscheinend ergebnislosen Dienst und zur Fortsetzung Seines schmach- und leidensvollen Weges bis zum Kreuze bedurfte.

Wir sind berufen, in derselben Welt mit Christo zu leiden und Seine Schmach zu tragen. Durch Ihn haben wir jetzt schon Freimütigkeit zum Eintritt ins Heiligtum, wo die Macht und Herrlichkeit Gottes geschaut werden kann, die uns «mitverherrlichen» wird, wenn wir anders mitleiden, und «mitherrschen» lassen wird, wenn wir ausharren. Ist Er auch hierin unser Vorbild?

«Denn deine Gnade ist besser als Leben; meine Lippen sollen dich rühmen. So will ich dich loben mein Leben lang, in deinem Namen meine Hände aufheben.» (Verse 4 + 5)

Der Blick Christi war aber auch auf die «Güte», auf die «Liebe» Gottes gerichtet. Es ist auffallend, wie in den Psalmen nur von der «Güte» und nicht von der «Liebe» Gottes die Rede ist. Güte hat einerseits Bezug auf die Vollkommenheit des Wesens und der Stellung Gottes, der über uns Menschen hoch erhaben ist. Anderseits bezeichnet dieser Ausdruck aber auch Seine freundliche, hilfreiche und verzeihende Gesinnung, die dem gläubigen Israeliten, der nicht in einem Kindesverhältnis zu Gott stand, so kostbar war.

Christus stellte sich inmitten Seines Volkes auch an diesen Platz. Doch kannte Er auch als Mensch eine noch viel innigere Beziehung zu Gott. War Er nicht gekommen, Ihn, der Licht und Liebe ist, im Fleische zu offenbaren?

Wenn schon für einzelne fromme Israeliten die Güte Gottes besser erschien als die ihm geschenkten irdischen Segnungen dieses Lebens, was musste erst die Liebe Gottes, Seines Vaters, für das Herz unseres teuren Herrn bedeutet haben! Sie war Sein kostbarster Besitz, und ihre Kraft trug Ihn durch Seine unsäglichen Leiden hindurch. Mehrmals sprach Er davon. In Seinem Leben hienieden hinderte Ihn aber auch nicht das Geringste, den wunderbaren Strom der Liebe des Vaters zu genießen! «… Gleichwie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.» «Er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue.»

Wenn das Menschenherz die Liebe Gottes ungehindert genießt und daher glückselig ist, öffnen sich die Lippen von selbst zum Ruhme und zum Preise Gottes. Für Jesum waren solche Stunden nicht nur auf sechzig oder neunzig Minuten pro Woche beschränkt. Er lobpries Ihn während Seines ganzen Lebens, selbst in den hiefür ungeeignetsten Umständen. Als Er unter dem tiefen Eindruck Seiner Verwerfung seitens Seines Volkes stand, «hob Jesus an und sprach: «Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde!» Und bevor Er zum Garten Gethsemane hinausging, um dort einen «ringenden», schrecklichen Kampf auszufechten, sang Er mit Seinen Jüngern ein Loblied.

«Meine Seele wird satt wie von Fett und Mark, und mit jauchzenden Lippen lobt dich mein Mund, 7 wenn ich an dich gedenke auf meinem Lager, in den Nachtwachen nachsinne über dich.» (Verse 7 + 8).

Wir Menschen der Jetztzeit haben großes Verständnis für die starke Beanspruchung der Zeit und der Kraft des Herrn von Morgen früh bis spät am Abend. Das, was uns in Markus 6,31 gesagt wird, mag sich tagtäglich wiederholt haben: «Denn derer, die da kamen und gingen, waren viele, und sie fanden nicht einmal Zeit zu essen.» Und wenn Er im Hinblick auf die erschöpften Jünger einen Ort suchte, wo sie «ein wenig ausruhen» konnten, da kam ihnen die Volksmenge zuvor. Einmal stieg Er, um vor der andrängenden Volksmenge etwas Distanz zu gewinnen in ein Schiff. Ein anderes Mal musste man auf das Dach steigen und einen Kranken durch die Ziegel hinablassen, um ihn vor die Füße Jesu legen zu können; es gab keinen andern Weg, um durch die dichte Menschenmenge zu Ihm zu gelangen.

Wie konnte Er da stille Augenblicke finden, um Seines Gottes zu gedenken und über Ihn zu sinnen? – Dann musste es eben sein, wenn die Menschen schliefen. Sein Hunger nach Gott hielt Ihn wach oder weckte Ihn, Er musste ihn stillen. Er «lebte von jedem Worte, das durch den Mund Gottes ausgeht.» Gesegnete Nachtwachen! Da wurde Seine Seele wie von Mark und Fett gesättigt und überfließend zum Geben in anstrengendem Dienst. (Vergl. z.B. Lukas 6,12-19).

«Denn du bist meine Hilfe geworden, und ich juble unter dem Schatten deiner Flügel. An dir hängt meine Seele; deine Rechte hält mich aufrecht.« (Verse 8 + 9).

Sein Erfülltsein mit Gott war gepaart mit einem festen, unerschütterlichen Vertrauen zu Ihm. Das war eines der Kennzeichen des Lebens Jesu. «Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoße an, von meiner Mutter Leibe an bist du mein Gott.» Darum konnte Er auch täglich und stündlich wunderbare Erfahrungen Seiner persönlichen Durchhilfe machen: «Denn du bist mir zur Hilfe gewesen.» Und Er hatte auch das Vertrauen, dass Er bis ans Ende in dem schützenden Schatten der «Flügel» Gottes jubeln würde.

Solche Erfahrungen der Treue Gottes haben aber zur Voraussetzung, dass auch der Mensch, der auf Ihn vertraut, in treuer Abhängigkeit von Ihm vorangeht. Die Treue Gottes muss sich uns gegenüber oft in Zurechtweisung und Züchtigung äußern, weil unser Eigenwille tätig ist. Bei Jesu aber war es ganz anders. Was in 1.Mose 22 von Abraham und Isaak gesagt wird: «sie gingen beide miteinander», kann in weit höherem Sinn von Gott, dem Vater und dem Sohne gesagt werden. Schon in der Ewigkeit bestand zwischen Ihnen vollkommene, göttliche Harmonie. Und als der Sohn Knechtsgestalt annahm, da zeigte sich die Übereinstimmung mit Gott in Seinem Menschenleben. Nie ist ein Höherer als Er über diese Erde gegangen, aber keiner hat sich Gott so völlig unterworfen wie Er: «Meine Seele hängt dir nach» oder: folgt dir unmittelbar nach. Bei keinem Schritt ist Er vom vorgezeichneten Wege abgebogen!

Anbetungswürdiger Herr! Deine Gesinnung ist unser Prüfstein. Schenke uns Gnade, Deine Nachahmer zu sein!

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