Der Erlöser

Der Erlöser

Unter den vielen Titeln, die unserem Herrn Jesus in der Heiligen Schrift gegeben werden, finden wir die bedeutsame Erwähnung des «Erlösers».

Aber dieser Sein Titel kommt nur im Alten Testament, besonders im Propheten Jesaja vor. Manche Stellen des Neuen Testamentes handeln zwar von der Erlösung, die in Christo Jesu ist, doch fehlen die Ausdrücke «Erlöser» und «Erlöste» dort gänzlich.

Die Bedeutung des Ausdruckes «Erlöser» ist nicht ohne weiteres ersichtlich, wird doch das gleiche Wort des Urtextes sowohl mit «Erlöser», als auch mit «Löser», «nächster Verwandter», «Blutsverwandter» und sogar mit «Rächer» und «Bluträcher» übersetzt.

«Erlöser» ist nicht gleichbedeutend mit «Erretter»; der Erste befreit aus Knechtschaft, der Letztere errettet vor dem Verderben.

Ganz allgemein wird mit «Erlöser» jemand bezeichnet, der für eine ihm nahestehende Person eine Rechtssache führt (vergleiche Sprüche 23,11; Jeremia 50,34). Das Wort Gottes schildert mehrere solche Rechtssachen:

  1. Die Lösung (Rückkauf) eines verarmten Israeliten oder seines Erbteils vor dem Jubeljahre. Im Buch Ruth wird ausführlich dargestellt, wie Boas Ruth und das Feld löste.
  2. Die Entgegennahme einer Schadenersatzleistung für einen Geschädigten, der inzwischen gestorben ist.
  3. Die Ausübung der Blutrache durch den nächsten Verwandten. Unter dem Gesetz Mose musste das unschuldig vergossene Blut hinweggeschafft werden.

Der Löser

Dieser musste in einer Handlung zwei wichtige Aufgaben erfüllen:

  • die Befriedigung der Ansprüche des Gläubigers und die Bezahlung des Lösegeldes;
  • den Freikauf und die Lösung des zum Knecht Gewordenen.

Wer konnte Löser sein?

  1. Das Gesetz gestattete einem verarmten Israeliten, seine eigene Person oder sein Erbteil selber freizukaufen, sofern er soviel erworben hatte, dass er das Lösegeld zahlen konnte.
    In den oben angeführten drei Beispielen von Rechtssachen ist aber jedesmal ein Unvermögen betreffs der Selbsterlösung deutlich zutage getreten. Der eine war verarmt, der andere gestorben und der dritte schuldig.
    So lautet auch Gottes unmissverständliches Urteil über den Sünder: «Keineswegs vermag jemand seinen Bruder zu lösen, nicht kann er Gott das Lösegeld geben (Psalm 49,7, vergleiche Matthäus 16,26).
  2. Angesichts dieser Tatsache musste ein Dritter die Rechtssache des Unvermögenden ausführen. Im Gesetz war vorgesehen, dass ein Bruder oder Oheim oder dessen Sohn oder einer von seinen nächsten Blutsverwandten Löser sein sollte.

Wer konnte jedoch als Erlöser des Sünders in Frage kommen? – «Als aber die Fülle der Zeit gekommen war», sandte Gott den Löser in der Person Seines Sohnes, «geboren von einem Weibe (= Mensch), geboren unter Gesetz (= Israelit), auf dass er die, welche unter Gesetz waren, loskaufte». Der Herr Jesus, der Löser des Volkes Israel, stammt aus Juda und ist also dessen «nächster Blutsverwandter»; das Heil kommt aus den Juden.

Gott sei Dank, beschränkt sich die Erlösung nicht nur auf Israel!

Die Erlösung

Die erste Aufgabe des Lösers bestand darin, den Gläubiger seines Schutzbefohlenen zu befriedigen, indem er das Lösegeld entrichtete.

Auf uns angewandt, können wir daraus lernen, dass die Befreiung aus der Sklaverei gar nicht an erster Stelle steht, wie wir dies oft annehmen. Im Gegenteil, die zu erlösende Person steht zunächst ganz im Hintergrund. Im Vordergrund stehen die Ansprüche des Gläubigers – und wer ist dieser? Wem gegenüber musste, an Stelle des Sünders, Genüge getan werden?

Erstens: den Forderungen eines heiligen Gottes gegenüber der Sünde.

Zweitens: den Ansprüchen des Gesetzes gegenüber denen, die unter Gesetz waren.

Dies wurde am großen Versöhnungstage treffend dargestellt. Aaron musste zwei Böcke vor Gott stellen und das Los über sie werfen: einer war für Gott, der andere für Israel. Der für Gott bestimmte Bock musste geschlachtet und sein Blut im Allerheiligsten auf und vor den Sühndeckel gesprengt werden. Kein Mensch durfte sich während dieser Zeit im Heiligtum aufhalten. Das Volk stand draußen und war am Tun des Priesters in keiner Weise beteiligt.

So hat der Herr Jesus durch Sein Opfer die Ansprüche des heiligen Gottes, Der durch die Sünde verunehrt worden war, Dessen Rechte missachtet und Dessen Gesetze verworfen wurden, vollkommen befriedigt. Durch die Person des Herrn Jesus, durch Sein Leben und Seinen Tod, Sein Werk am Kreuze und Sein vergossenes Blut wurde zudem Sein Gott und Vater vollkommen verherrlicht.

Wohlgeruch und Lieblichkeit
Warst für Gott Du allezeit,
Selbst im tiefsten Leide.
Völlig hast Du Ihn geehrt
Im Gehorsam Dich verzehrt,
Ihm zur Wonn‘ und Freude.

Wahrlich, einem solchen Löser gebührt Anbetung!

Außerdem entsprach Christus auch völlig den Forderungen des Gesetzes, indem Er das Gesetz erfüllte, d.h., in ganzer Fülle darstellte.

Das Lösegeld

Durch Bezahlung des Lösegeldes wurde der Schuldherr befriedigt. Wir aber sind nicht mit verweslichen Dingen, mit Silber oder Gold, erlöst worden, sondern mit dem kostbaren Blute Christi. Jesus gab Sich selbst, Sein Leben, Sein Blut, Sein alles als Lösegeld hin. Das Blut ist es, welches Sühnung tut für die Seele.

Es mag dem aufmerksamen Bibelleser aufgefallen sein, dass in 1. Timotheus 2,6 vom Lösegeld für alle, in Matthäus 20,28 dagegen vom Lösegeld für viele die Rede ist. Was bedeutet dieser Unterschied? In der Fußnote der neueren Elberfelder-Bibelausgaben wird vermerkt, dass das Wort «für» im ersten Falle: «im Hinblick auf alle» (oder: «betreffs, hinsichtlich aller») bedeutet, während es in der zweiten Bibelstelle den Sinn hat von: «anstelle von vielen» oder: («anstatt vieler»).

Die Reichweite des Lösegeldes umfasst somit alle Menschen ohne Ausnahme. Das Resultat oder die Auswirkung hingegen beschränkt sich auf die Vielen, die an Jesum glauben, der an ihrer Statt gestorben ist.

Die frohe Botschaft der Gnade darf allen Menschen ohne Unterschied verkündet werden: Gott will, dass alle Menschen errettet werden. Er will nicht, dass irgendwelche verloren gehen, sondern dass alle zur Buße kommen. Leider muss aber der Herr klagen: Ihr habt nicht gewollt! Was Er damals über Jerusalem ausrief, trifft heute leider auf ungezählte Menschen auf der ganzen Erde zu.

Christus ist «für alle» (oder: «im Hinblick auf alle») gestorben. «Er ist die Sühnung für unsere Sünden, nicht allein für die unseren, sondern auch für die ganze Welt.» Das Wörtchen «für» bedeutet jedesmal: hinsichtlich, betreffs. Jesus Christus ist also nicht die Sühnung für die Sünden der ganzen Welt, wie man es bisweilen fälschlich formuliert, sondern die Sühnung im Hinblick auf die Welt.

In Römer 5,18-19 finden wir die beiden Ausdrücke «alle» und «viele» nebeneinander: Nachdem die Reichweite der einen Ungerechtigkeit wie auch der einen Gerechtigkeit gegen alle Menschen dargestellt wird, handelt der nächste Vers vom Ungehorsam des Einen (= Adam) und dem Gehorsam des Einen (= Christus) sowie vom Ergebnis der Stellung, worin die Vielen gebracht werden, die jeweils mit dem «Einen» in Verbindung stehen:

  1. die Vielen, die mit Adam verbunden sind, nämlich das ganze Menschengeschlecht, sind Sünder.
  2. die Vielen, die mit Christus verbunden sind (= die Gläubigen), sind Gerechte. Gottes Gerechtigkeit ist durch Glauben an Jesum gegen alle. Keiner ist ausgeschlossen. Aber die Gerechtigkeit kommt nur auf alle, die da glauben.
    Jesus hat für alles (oder: für jeden) den Tod geschmeckt. Er verkaufte alles, was Er hatte, und kaufte jenen Acker, d.h. die Welt.

Das Lösegeld ist bezahlt im Hinblick auf alle Menschen. Es reicht für alle aus. Niemand muss je ein Lösegeld entrichten. Aber nur die «vielen», die an Jesum glauben, sind durch das Blut Christi erlöst und freigemacht von der Knechtschaft. Anderseits sind sie aber durch Sein Blut auch zu Sklaven Christi erkauft worden. Währenddem sich die Erlösung nur auf die Gläubigen beschränkt, werden in 2. Petr. 2,1 sogar falsche Lehrer genannt, die Er erkauft (aber nicht «erlöst») hat; Er ist ihr Gebieter und hat Anspruch auf sie, aber sie werden sich trotzdem schnelles Verderben zuziehen.

Christus hat die Sünden vieler (nicht aller) getragen (Hebräer 9,28; Jesaja 53,12). Wer im Glauben zum Herrn Jesus gekommen ist, gelangt in den Genuss der Resultate Seines stellvertretenden Opfers. Damit kommen wir zur zweiten Aufgabe des Lösers:

Der Loskauf oder Freikauf

Die Erlösung der Seele

Der natürliche Mensch ist unter die Sünde verkauft und der Macht des Todes unterworfen und steht unter der Gewalt Satans. Durch das Opfer Christi sind wir von dieser dreifachen Herrschaft freigemacht:

  1. die Sünde ist abgeschafft,
  2. Christus hat den Tod zunichte gemacht und
  3. durch Seinen Tod ist Satan zunichte gemacht worden.

Satan, Sünde und Tod haben nicht aufgehört zu bestehen, aber ihre Macht ist gebrochen. Unsere Erlösung ist nicht zukünftig, sondern eine vollendete Tatsache, die den Erlösten jetzt schon zuteil geworden ist.

Mehr noch! Durch Seine Dahingabe hat Christus uns von aller Gesetzlosigkeit losgekauft. – Israel hatte sich am Sinai freiwillig unter das Gesetz gestellt. Christus aber hat die, welche unter Gesetz waren, freigemacht (Galater 4,5; Römer 7,6). Er hat uns vom Fluche des Gesetzes losgekauft, indem Er für uns ein Fluch geworden ist.

Durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist, werden wir umsonst gerechtfertigt. Ja, die Person des Herrn selbst ist uns Erlösung geworden.

Auf Grund des vergossenen Blutes Christi sind wir erlöst (Epheser 1,7; 1. Petrus 1,18-19), mit dem herrlichen Ergebnis der Vergebung unserer Sünden (Epheser 1,7; Kolosser 1,14). Und diese Erlösung mit ihren gesegneten Folgen ist nicht zeitlich beschränkt, sondern ewig. Da bleibt uns nichts anderes übrig, als unseren Erlöser in Ehrfurcht zu preisen und in die Worte einzustimmen: Du «hast für Gott erkauft, durch dein Blut aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation…»

Neben diesen Vorrechten wollen wir aber auch unsere Verantwortung in Bezug auf die Erlösung, wie sie uns im Neuen Testament gezeigt wird, nicht übersehen. Wir sollen:

  1. unseren Leib dem Herrn zur Verfügung stellen: Verherrlicht Gott in eurem Leibe;
  2. uns daher niemals als Sklaven an irgend einen Menschen verkaufen, in welcher Art dies auch geschehen mag: Werdet nicht der Menschen Sklaven (1. Korinther 7,23);
  3. eifrig sein in guten Werken;
  4. einen Wandel in Gottesfurcht führen.

Die zukünftige Erlösung des Leibes

Die Erlösung unserer Seele ist, wie bereits dargelegt, eine vollendete Tatsache. Welche Ruhe und welchen Frieden bedeutet dies für unser Herz! In Epheser 4,30 wird indessen ein zukünftiger «Tag der Erlösung» erwähnt, die Erlösung unseres Leibes. Dies geschieht in Macht bei der Wiederkunft unseres Herrn. Dann wird auch die Erlösung des erworbenen Besitzes (unseres Erbes) zum Preise Seiner Herrlichkeit verwirklicht werden.

Die Erlösung Israels

Nach der Entrückung der Versammlung Gottes ist die Erlösung noch nicht abgeschlossen. Wie weit erstreckt sich doch das Werk Christi!

Dem gläubigen Überrest in der künftigen großen Drangsalszeit wird zugerufen: «Hebet eure Häupter empor, weil eure Erlösung naht.»

Auf Grund des vergossenen Blutes war Israel mit Macht aus Ägypten erlöst worden. Statt in Dankbarkeit dem Herrn zu dienen, verfielen sie dem Götzendienst. Das Volk konnte das Lösegeld nicht selber entrichten. Aber dann kam der Herr Jesus als Löser und nächster Verwandter. Indessen warteten nur einzelne auf die Erlösung, und sie hofften, dass Er das Volk vom römischen Joch erlösen würde (Lukas 2,38; 24,21). Die Obersten Israels hingegen, wie auch das Volk, verwarfen ihren Messias und hefteten Ihn ans Kreuz. Aber gerade diese Verstockung Israels gereichte dann den Nationen zum Heil.

Nachdem die Vollzahl der Nationen eingegangen sein wird, wird der Herr Jesus als Erlöser für Zion kommen, und für die, welche in Jakob von der Übertretung umkehren. Mit ewiger Güte wird sich Christus, der Erlöser, des gläubigen Überrestes erbarmen und Gottes Ratschlüsse zu Ende führen.

«Unser Erlöser von alters her» – welch ein kostbarer Name unseres Herrn!