Jakobs Ende
Als Jakob vor dem Pharao stand, konnte er ihm nur in kurzen Worten sein eigenes Leben beschreiben. Vor seinen Angehörigen aber lag es da wie ein aufgeschlagenes Buch. Sie konnten jetzt die Ergebnisse der Erziehungswege Gottes mit ihm wahrnehmen.
Das schönste Ergebnis bestand in der vollen Entfaltung des Glaubens Jakobs, der im letzten Abschnitt seines Lebens, mit dem wir uns beschäftigen wollen, triumphierend zum Vorschein kam. In Hebräer 11,21 wird er in einem kurzen Satz beschrieben: «Durch Glauben segnete Jakob sterbend einen jeden der Söhne Josephs und betete an über der Spitze seines Stabes.»
Was im 1. Buch Mose als erstes Zeugnis des Glaubens Jakobs erwähnt wird, nämlich sein Befehl bezüglich seiner sterblichen Hülle, ist im Hebräerbrief übergangen worden, weil es dort als Wesenszug des Glaubens Josephs erwähnt wird. «Jakob rief seinen Sohn Joseph und sprach zu ihm: Wenn ich doch Gnade gefunden habe in deinen Augen, so lege doch deine Hand unter meine Hüfte, und erweise Güte und Treue an mir: begrabe mich doch nicht in Ägypten! Wenn ich mit meinen Vätern liegen werde, so führe mich aus Ägypten und begrabe mich in ihrem Begräbnis» (Kap. 47,29.30). Und weiter: «Siehe, ich sterbe; in meinem Grabe, das ich mir im Lande Kanaan gegraben habe, daselbst sollst du mich begraben» (Kap. 50,5). Er wollte nicht, dass seine Gebeine oder irgend ein Atom seines Staubes in Ägypten zurückbleibe, wie später auch keine Klaue des Viehes Israels zurückbleiben durfte (2. Mose 10,26). Gott hatte seinen Vätern, Abraham und Isaak, verheißen, ihnen und ihrem Samen nach ihnen das Land Kanaan zu geben, und sie hatten diese Verheißung im Glauben angenommen. Wohl waren sie im Glauben gestorben, das heißt, ohne die Verheißungen empfangen zu haben, aber in fester Zuversicht rechneten sie mit dem Erbteil, das Gott ihnen gegeben hatte. So gab nun auch Jakob angesichts des nahenden Todes demselben Glauben an die Auferstehung Ausdruck. Er wollte mit seinen Vätern, und sei es nur im Grabe zu Machpela, im Lande Kanaan versammelt sein, wenn die Stunde schlagen würde, wo das Volk sein Erbteil in Besitz nehmen konnte.
Unser Glaube gleicht dem Glauben der Erzväter, mit dem Unterschied allerdings, dass wir die Auferstehung nicht zur Einführung in ein irdisches, sondern zum Eingang in ein himmlisches Erbteil erwarten.
Als Jakob «zu den Häupten seines Bettes anbetete» (Vers 31), legte er ein zweites Zeugnis seines Glaubens ab. Auf dem Sterbebette, als sein Geist im Begriff war, den Leib zu verlassen, betete Jakob an. Wird diese Haltung des Patriarchen in der Sterbestunde auch uns kennzeichnen? Der Glaube erhob Jakob über die obwaltenden Umstände und Ereignisse, und er gab seinem dankbaren Herzen vor Gott in stiller Anbetung Ausdruck.
Ein drittes Zeugnis seines Glaubens finden wir in Hebräer 11,21: «Er betete an über der Spitze seines Stabes.» Das ist ein Beweis dafür, dass er seinen Fremdlingscharakter bis zum Endpunkt seiner irdischen Laufbahn treu gewahrt hat.
Das vierte Zeugnis seines Glaubens gab sich bei der Segnung von Ephraim und Manasse kund (Hebr. 11,21). Diese beiden Söhne Josephs, die Asnath, sein Weib aus den Nationen ihm gebar, nachdem seine Brüder ihn verworfen hatten (1. Mose 41,50), wurden zu den Erben der Segnungen Jakobs gerechnet. Der Erzvater anerkannte sie nach Wahl der Gnade als seine Söhne, obwohl sie kein Anrecht hatten, in den Baum der Verheißungen eingepfropft zu werden. Dadurch, dass der Großvater die beiden Enkel segnete, legte er eine tiefe Einsicht in die Gedanken Gottes an den Tag. Ja, dieser altersschwache Greis, der nicht mehr sehen konnte, hatte durch den Glauben einen klareren Blick als Joseph, der berühmte Traumdeuter.
Jakob hatte, im Gegensatz zu seinem Vater Isaak, kein Bedürfnis nach einem künstlich herbeigeführten Aufleben seiner Kräfte, um den Segen aussprechen zu können Nein, schwach und im Begriff zu sterben – bei Isaak war dies noch nicht der Fall – «machte er sich stark und setzte sich aufs Bett». Er besaß genug Glaubensenergie, um sein Zeugnis bis ans Ende fortzuführen; obwohl die Anforderung, die diese weihevolle Handlung an ihn stellte, keine Kleinigkeit war. Dann legte er seine Rechte auf das Haupt Ephraims, des jüngeren Sohnes, und seine Linke auf das Haupt Manasses, des Erstgeborenen. Damit verurteilte er die strafbare Handlung der Segenserschleichung, die er einst verübt hatte, den Mangel an Gottvertrauen und auch das Selbstvertrauen, das an ihm offenbar geworden war. Damals hatte er nicht geglaubt, dass Gott seinen Vater dazu bringen könne, seinem eigenen Willen zuwider zu handeln. Jetzt aber, als Joseph, sein geliebter Sohn ihn hindern wollte, in voller Kenntnis des Willens Gottes zu handeln, antwortete er: «Ich weis es, mein Sohn, ich weis es.» Er war jetzt ganz von Gott abhängig und stand in völliger Gemeinschaft mit Ihm. Er empfing die Weisheit für Seine Entschlüsse daher aus dem Lichte Seines Heiligtums. Die Seele Jakobs schätzte die Gnade hoch ein; und er hatte das Bedürfnis, sie seinen Geliebten mitzuteilen: «Der Gott, vor dessen Angesicht meine Väter, Abraham und Isaak, gewandelt haben, der Gott, der mich geweidet hat, seitdem ich bin bis auf diesen Tag, der Engel, der mich erlöst hat von allem Übel, segne die Knaben; und in ihnen werde mein Name genannt und der Name meiner Väter, Abraham und Isaak, und sie sollen sich mehren zu einer Menge inmitten des Landes» (1. Mose 48,15.16).
Seine Väter hatten vor Gott gewandelt. Jakob konnte dies von sich selbst nicht sagen. Umsomehr aber schätzte er die Gnade, die ihn von seinem ersten bis zu seinem letzten Tage geleitet hatte.
Dieses alles ist vor der Familie Gottes ein wertvolles Gemälde vom Zeugnis des Glaubens. Der Glaube umgab das Sterbebett Jakobs mit einem Strahlenglanz. Durch den Glauben bestimmte Jakob ein doppeltes Teil für Joseph, indem er dessen Söhnen Ephraim und Manasse je ein Los gab. Er, der einst von seinen Brüdern verachtet und verworfen worden war, empfing das Teil, das eigentlich dem Erstgeborenen zukam (1. Chronika 5,1.2). Der Glaube gibt immer dem den Vorzug, der von der Welt verleugnet wird.
Die Schlussworte Jakobs zeigen, zu welcher Höhe sich der Glaube erheben kann. In 1. Mose 48,22 lesen wir: «Ich gebe dir einen Landstrich über deine Brüder hinaus, den ich von der Hand der Amoriter genommen habe mit meinem Schwerte und mit meinem Bogen.» Hatte denn dieser sanfte und friedliche Mann jemals solche Kriegswaffen benutzt? Nein, aber er war Israel und sah voraus, wie das Volk, das er darstellte, die Kanaaniter besiegen und ihre Beute unter sich teilen würde. Sein Glaube verwirklichte im voraus den Sieg, den Gott durch Sein Volk über die Bewohner des Landes erringen würde, als ob dies sein eigener Triumph wäre.