Das Gebet und die Heilung von Kranken

Das Gebet und
die Heilung von Kranken

Der Feind hat von jeher zahlreiche Anstrengungen unternommen, um die Gläubigen von der Person des Herrn abzuziehen, von dem einen Gegenstand, auf den das Wort Gottes uns hinlenken will. Das verfänglichste Mittel, dessen er sich zu diesem Zweck bedient, besteht in der einseitigen Verkündigung gewisser biblischer Wahrheiten, die aus der Gesamtheit der göttlichen Offenbarungen herausgerissen werden. Er gibt ihnen eine Bedeutung, die schließlich zur Verfälschung des Wortes Gottes, «der Wahrheit», führt (Joh. 17,17).

Der Geist Gottes wurde in die Welt gesandt, um die Gläubigen in die ganze Wahrheit zu leiten (Joh. 16,13) und sie mit Dem zu beschäftigen, der nach der Vollbringung des Werkes der Erlösung zur Rechten Gottes erhöht worden ist und wiederkommen wird, um die Seinigen für immer zu sich zu nehmen.

Der Feind kann den Erlösten das Heil, das sie besitzen, nicht rauben. Aber er will sie an der Betrachtung der Person Christi, der einzigen Quelle ihrer Glückseligkeit, ihres Wachstums und ihres Zeugnisses, hindern. Um dieses Ziel zu erreichen, beschäftigt er sie mit ihrer eigenen Person und ihren Umständen. Er lenkt ihre Aufmerksamkeit dabei oft auf Dinge, die an und für sich gut sind, aber zum Resultat führen, dass sie die Gedanken und die Tätigkeit der Gläubigen voll beanspruchen und dadurch die Verherrlichung des Herrn beeinträchtigen.

So ist er in unseren Tagen mehr denn je bemüht, die Gläubigen auf ihre körperlichen Leiden aufmerksam zu machen. Gelingt ihm dies, so werden sie nicht so schnell von sich selbst loskommen. Die Leiden sind unserer menschlichen Natur, die doch für diese Erde geschaffen worden ist, unerträglich. Es ist daher begreiflich, dass die Menschen allen Worten, wodurch ihnen Befreiung von solchen Leiden versprochen wird, willig Gehör schenken. Und sie horchen auf, wenn sich gewisse Leute in diesem Zusammenhang beharrlich auf Bibelstellen stützen, die davon reden, dass Gott auf das Gebet derer, die sich im Glauben an Ihn wenden, antworten werde.

Was sagt Gottes Wort über die Leiden?

Es belehrt uns, dass jede Prüfung in der Hand Gottes der Seele einen Segen mit ewigen Folgen vermittelt. Die Krankheit ist eine solche Prüfung, die uns der Herr zu diesem Zweck auferlegt.

Das 8. Kapitel des Römerbriefes spricht von den Leiden der Jetztzeit in Verbindung mit der gefallenen, seufzenden Schöpfung, in welcher auch wir seufzen und die Erlösung unseres Leibes erwarten. Dort wird nicht gesagt, dass die Kinder Gottes diesen Leiden nicht unterworfen seien, sondern vielmehr «dass denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Guten mitwirken» (Vers 28).

In 2. Korinther 4,17-18 lesen wir: «Denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Drangsal bewirkt uns ein über die Maßen überschwengliches, ewiges Gewicht von Herrlichkeit, indem wir nicht das anschauen, was man sieht, sondern das, was man nicht sieht; denn das, was man sieht, ist zeitlich, das aber, was man nicht sieht, ewig.» Diese «vorübergehende Drangsal», die so herrliche Resultate zeitigt, dauert oft das ganze Leben hindurch. Denn Gott wirkt nicht für diese Erde, sondern im Hinblick auf den Himmel. Auch Jakobus sagt: «Achtet es für lauter Freude, meine Brüder, wenn ihr in mancherlei Versuchungen fallet, da ihr wisset, dass die Bewährung eures Glaubens Ausharren bewirkt. Das Ausharren aber habe ein vollkommenes Werk, auf dass ihr vollkommen und vollendet seid und in nichts Mangel habt» (Kap. 1,2-4). Das Ziel Gottes, die Bewährung des Glaubens mit ihren wertvollen Ergebnissen, wäre nicht erreicht, wenn die Versuchungen vorzeitig abgebrochen würden. Im Gegenteil, es wird uns hier nahegelegt, im Glauben um Weisheit zu bitten, damit wir Gottes Gedanken entsprechend durch die Prüfung hindurchgehen können, um schließlich zu ihren gesegneten Endergebnissen zu gelangen (Verse 5-8).

Die Leiden sind also nichts Außergewöhnliches (1. Petr. 4,12), deren man sich so schnell wie möglich entledigen sollte. Ob es sich um Verfolgung, um Krankheit oder um irgend eine andere Prüfung handle – die Kinder Gottes haben sowohl heute wie zu allen Zeiten solche Trübsale nötig, und dies um so mehr, als das Gericht bei dem Hause Gottes anfangen muss (1. Petr. 4,17). Er reinigt und heiligt die Seinigen, um sie in die Lage zu versetzen, treu voranzugehen und Seine Gemeinschaft zu genießen. Die Prüfungen sind also ein Werk der Gnade, der Liebe und der Weisheit Gottes gegenüber Seinen Geliebten, im Hinblick auf die Herrlichkeit, in welcher alle Ergebnisse Seiner Tätigkeit in den Seinigen offenbar werden. Es zeugt also von großer und sich kühn gebärdender Unwissenheit über die Wege Gottes, wenn jemand Ihn veranlassen will, die Züchtigung Seiner Kinder einzustellen.

Es ist falsch, zu sagen: Keiner muss krank sein.

Die modernen Krankenheiler sind von den Gedanken Gottes weit entfernt, wenn sie kommen und sagen: «Keiner muss krank sein. Sie können in diesem Augenblick gesund werden, wenn Sie Glauben haben!» Diese Worte bedeuten gleichviel wie: «Gott hat sich in ihrem Fall getäuscht. Wir aber wollen Ihnen die Gesundheit zurückgeben.» Leute, die für solche Krankenheilungen Propaganda machen, übersehen die Erziehungswege des Vaters mit Seinen Kindern, oder gehen stillschweigend darüber hinweg.

Was machen sie zum Beispiel mit der Belehrung aus Hebräer 12,3-17? Wo können wir in diesem Kapitel das Versprechen, geheilt zu werden, einfügen, wo Gott uns doch zuruft: «Mein Sohn! achte nicht gering des Herrn Züchtigung, noch ermatte, wenn du von ihm gestraft wirst; denn wen der Herr liebt, den züchtigt er; er geißelt aber jeden Sohn, den er aufnimmt. Was ihr erduldet, ist zur Züchtigung; Gott handelt mit euch als mit Söhnen; denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?» Man will die Gläubigen also um die Frucht der Züchtigung bringen, die allein uns dazu verhelfen kann, der Heiligkeit Gottes teilhaftig zu werden. Sie gibt doch «die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt sind» (Verse 10.11).

Wir wiederholen: Der unbedingte Wille, Heilungen herbeizuführen, ist eine Missachtung der Züchtigungswege Gottes. Die, welche dazu aufrufen, entmutigen die Kranken. Sie werfen ihnen vor, es mangle ihnen an Glauben, und machen ihnen weiß, ihre Leiden seien ja gar nicht nötig. Solche Ratschläge sind in direktem Widerspruch zu den Gedanken Gottes und dazu angetan, den Seelen die Segnungen, die aus Seinen vollkommenen Wegen hervorgehen, zu rauben.

Die Krankenheiler von heute hätten den Apostel Paulus vermutlich ermahnt, sich dem Dorn im Fleische zu widersetzen! Er selbst hatte ja, bevor er den Gedanken des Herrn kannte, Ihn gebeten, ihm diese Prüfung wegzunehmen. Er hatte gemeint, das ihm anvertraute Werk werde dadurch beeinträchtigt. Aber, sowohl für ihn wie auch für uns ist die Antwort des Herrn vollkommen: «Meine Gnade genügt dir, denn meine Kraft wird in Schwachheit vollbracht!» Paulus lernte verstehen, dass der Weg des Herrn viel sicherer zu dem gewünschten Ziele führte, als wenn ihm der Dom weggenommen worden wäre. Er begann sogar, sich dieser Schwachheit zu rühmen. Und niemand durfte jetzt behaupten, er habe in dieser Beziehung zu wenig Glauben gezeigt, wie man es heute denen gegenüber zu sagen wagt, bei denen die «Krankenheilung» misslingt.

Beachte auch, dass der Apostel Paulus nie in die Regierungswege Gottes gegenüber denen, die ihn umgaben, eingegriffen hat. Er wusste nur zu wohl, dass ihr Vater, der sie durch Krankheit hindurchgehen ließ, höhere Beweggründe hatte, als nur den der Erhaltung ihrer Gesundheit. Nachdem er eine Menge Kranker geheilt hatte (Apostelg. 19), ließ Paulus den Trophimus krank in Milet zurück (2. Tim. 4,20). Hatte er denn keine Macht und keinen Glauben mehr, um zu heilen? Weit davon entfernt! Er überließ Trophimus der Fürsorge seines himmlischen Vaters, der allein weiß, wann wir eine Krankheit nötig haben, so gut wie Er auch weiß, wann wir der Nahrung bedürfen. Gott bemisst die genaue Dauer der Prüfung, die zur Erreichung Seines Zieles erforderlich ist. «Gott aber, sollte er das Recht seiner Auserwählten nicht ausführen, die Tag und Nacht zu ihm schreien, und ist er in Bezug auf sie zu langsam?» (Luk. 18,7). Er lässt Sein Werk nicht unvollendet, um dem menschlichen Wunsch – und schiene dieser noch so berechtigt – entgegenzukommen.

Timotheus sollte ein wenig Wein trinken, um seines häufigen Unwohlseins willen. Paulus hätte ihn zu heilen vermocht, so gut wie einen Epaphroditus, dessen Krankheit solange dauerte, dass selbst die Philipper von Rom aus davon Kenntnis erhielten (Phil. 2,26-27). Paulus respektierte eben die Regierungswege Gottes gegenüber den Seinigen. Er wusste, dass der Gläubige durch die Heilung in einem willkürlichen Augenblick der Segnungen beraubt würde, die aus der Züchtigung hervorfließen. Wer vorgibt, irgendwen irgendwann heilen zu können, gibt sich darüber keine Rechenschaft. Selbst die Menschen dieser Welt handeln nicht in solcher Weise. Nie würde ein rechtschaffener Mann, der seinen Nachbarn als guten Familienvater und Erzieher kennt, sich in dessen Erziehungsmaßnahmen einmischen, selbst wenn es ihn dauert, dass eines der Kinder eine strenge Züchtigung erhält. Da er zum Vater, den er kennt, Vertrauen hat, lässt er ihn handeln.

Und die Schriftstelle in Jakobus 5,14-16?

Man meint vielleicht, den bisher erwähnten Tatsachen diese Schriftstelle entgegenhalten zu können. Wir anerkennen die ganze Kraft dieses Wortes, so, wie es in der Bibel steht. Jakobus setzt voraus, dass an einem Orte eine Versammlung besteht und nimmt an, dass der Kranke zu jener Versammlung gehört. Dieser Kranke soll die Ältesten der Versammlung zu sich rufen. Das sind nicht Brüder, die er sich auswählt, sondern solche, die den Charakter eines Ältesten besitzen, so wie er im Worte beschrieben ist (vergl. 1. Tim. 3,1-7; Titus 1,5-9). Nach der Schrift besitzen diese Ältesten Weisheit und geistliche Einsicht, als Frucht einer langen Erfahrung durch einen Wandel in Gottesfurcht. Sie werden dadurch in die Lage versetzt, zu unterscheiden, ob sie dem an sie gerichteten Verlangen entsprechen können. Wenn der Kranke heute solche Männer in einer solchen Versammlung mit den beschriebenen Eigenschaften findet, so können sie den Belehrungen des Jakobusbriefes entsprechend handeln. Unter diesen Ältesten sind also nicht irgendwelche Christen aus einer anderen Ortschaft oder gar aus einem anderen Lande zu verstehen, die durch Zeitungsinserate einladen, Leidende zu Krankenheilungsversammlungen herbeizubringen. Was haben solche Veranstaltungen mit den Belehrungen des Jakobusbriefes zu tun?

Man beruft sich im weiteren auch auf 1. Johannes 5,14-15: «Und dies ist die Zuversicht, die wir zu ihm haben, dass, wenn wir etwas nach seinem Willen bitten, er uns hört. Und wenn wir wissen, dass er uns hört, um was irgend wir bitten, so wissen wir, dass wir die Bitten haben, die wir von ihm erbeten haben.» Aber hier handelt es sich um ein Gebet nach Seinem Willen. Findet man in unsern Tagen die geistliche Einsicht, die in Krankheitsfällen zur Erkenntnis Seines Willens erforderlich ist? Wir müssen sagen: sehr selten. Man lässt außer acht, dass das Gebet ein Ausdruck der Abhängigkeit ist und nicht ein Akt des Eigenwillens der sich vermisst, Gott eine Anweisung zu erteilen. Gott kann niemals dem Menschen gehorchen!

Gebete nach Gottes Gedanken

Das Gebet und die Erhörung stehen in Verbindung mit dem Seelenzustand dessen, für den man bittet. «Betet für uns», sagt der Apostel Paulus, «denn wir halten dafür, dass wir ein gutes Gewissen haben, da wir in allem ehrbar zu wandeln begehren» (Hebr. 13,18). Und in Jesaja 59,1.2 lesen wir: «Siehe, die Hand Gottes ist nicht zu kurz, um zu retten, und sein Ohr nicht zu schwer, um zu hören, sondern eure Missetaten haben eine Scheidung gemacht zwischen euch und eurem Gott, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verhüllt, dass er nicht hört». Wir zweifeln keinen Augenblick, dass Gott zu heilen und zu erlösen vermag, aber die Person, für die wir bitten, muss dabei in einem solchen Zustand sein, dass Er es tun kann.

Die Erhörung ist auch abhängig vom Zustand des Bittenden: «Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel» (Jakobus 5,16). «Wenn ich es in meinem Herzen auf Frevel abgesehen hätte, so würde der Herr nicht gehört haben» (Psalm 66,18). «Ich will nun, dass die Männer an jedem Orte beten, indem sie heilige Hände aufheben, ohne Zorn und zweifelnde Überlegung» (1. Tim. 2,8). «Wenn jemand gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den hört er» (Joh. 9,31).

Gott allein kennt den Zustand der Betenden wie auch der Ihm Anbefohlenen. Er handelt einem jeden gegenüber in vollkommener Weisheit, entsprechend Seiner göttlichen Erkenntnis und Liebe. Wer sind wir, dass wir von Ihm fordern dürften, unsern Wünschen gemäß zu handeln, gerade in dem Augenblick, der uns beliebt?

Der Mangel an Gemeinschaft mit Gott und folglich Mangel an geistlicher Einsicht ist die große Ursache der Wirkungslosigkeit unserer Gebete. Der Herr allein konnte sagen: «Ich wusste, dass du mich allezeit erhörst» (Joh. 11,42). Aber wenn wir auch aus Mangel an geistlicher Einsicht und Frömmigkeit den Willen Gottes hinsichtlich unserer Anliegen nicht erkennen, so dürfen wir doch die eigenen Bedürfnisse, wie auch die der Geschwister und aller Menschen, mit Gebet, Flehen und Danksagung vor Ihn bringen (Phil. 4,6). Wir werden dann sogleich eine Antwort erhalten, die zwar ganz verschieden ist von dem, was jene Leute uns lehren wollen, nämlich: «Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christo Jesu» (Phil. 4,7). Anstatt während der Erwartung des Erbetenen beunruhigt zu werden, bleiben unsere Herzen im Frieden Gottes bewahrt. Vom Eigenwillen gelöst, erwarten wir Seine Dazwischenkunft, wann und wie Er es für gut findet.

Die Schrift enthält zahlreiche Ermahnungen zum Gebet. Wir wollen sie keineswegs entkräften. Hat man doch gesagt, dass das Gebet das unaufhörliche Atemholen des neuen Menschen sei. Und so rief der Apostel den Thessalonichern zu: «Betet unablässig!» Wenn wir die Gegenwart des Herrn verwirklichen, so treibt uns alles, was wir in dieser traurigen Welt sehen, dazu an, unsere Seelen mit Flehen, Gebeten und Fürbitten zu Gott emporzuheben. Dass wir doch auch diese Ermahnungen des Wortes immer besser befolgten! – Aber, wir wiederholen es, wir dürfen den Glauben und das Gebet nie dazu missbrauchen, Gott unseren Willen aufzuzwingen. Wer so handelt, missachtet die Belehrungen der Heiligen Schrift.

Es gibt eine Menge von Bitten, von denen wir wissen, dass sie mit dem Worte Gottes im Einklang stehen. Zum Beispiel: «Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen» (1. Tim. 2,4). Es ist Ihm also durchaus wohlgefällig, wenn wir Ihn um das Heil der Sünder bitten. Auch wenn es um die Verherrlichung des Herrn, um das geistliche Wohlergehen der Heiligen und ihren Fortschritt, um das Werk des Herrn in der Versammlung und um die Verkündigung des Evangeliums in der Welt geht, haben wir die Gewissheit, dass Gott uns hört. Wenn es sich aber um Seine Regierungswege in unseren persönlichen Umständen handelt, so ist uns Sein Walten gar oft verborgen und unerforschlich.

Verleiht Gott heute noch Wunderkräfte?

Wer sich heute auf eine Wundermacht beruft, bezieht sich nicht nur auf Jakobus 5,13-18, sondern ist der Meinung, er habe teil an dem «Spätregen», an einer Ausgießung des Geistes Gottes, ähnlich derjenigen an Pfingsten. Wir ersehen aber aus der Apostelgeschichte, dass jene Wunder nicht für die Gläubigen bestimmt waren, sondern für die Ungläubigen (Apostelg. 14,3; 15,12 und auch 1. Kor. 14,22). Sie dienten zur Aufrichtung der Versammlung, dem Hause Gottes auf der Erde. Soviel uns bekannt, ist Dorkas wohl das einzige Beispiel für die Entfaltung der Wundermacht der Apostel einem Gläubigen gegenüber. Das war aber eine Auferweckung, nicht eine Heilung, und hatte zur Folge, dass viele an den Herrn glaubten (Apostelg. 9,42). Zudem geschah dieses Wunder in einem Zwischenzustand, im Anfangsstadium der Versammlung Gottes. Sie war eben aus dem Judentum hervorgegangen, und der Apostel Paulus war noch nicht erweckt worden, um die Einheit des Leibes Christi, der aus Juden und Heiden gebildet wird, zu offenbaren.

Heute liegt die Zeit der Gründung der «Versammlung Gottes» weit hinter uns. Sie erforderte ein machtvolles und eindrückliches Eingreifen von Seiner Seite, sowohl unter den verhärteten Juden, die sich auf den göttlichen Ursprung ihrer Religion beriefen und sich dem Werke der Gnade widersetzten, als auch inmitten der Nationen, die in das Dunkel des Götzendienstes gesunken waren. Im Gegensatz dazu, leben wir heute inmitten des Zerfalls der Christenheit in der sich Menschen befinden, die zwar den Namen Christi tragen, aber den Sohn Gottes mit Füßen treten und das Blut des Bundes, durch welches sie vom Juden- und Heidentum abgesondert worden sind, gemein achten und den Geist der Gnade schmähen (Hebr. 10,29). Der Heilige Geist, der in der Christenheit mehr denn je betrübt wird, kann nicht mehr in dem Maße wirksam sein, wie wenn die Kirche treu geblieben wäre. Wenn Er heute – wie im Anfang – Wunderwerke vollbrächte, würde Er die bestehende Unordnung, die Auflehnung gegen Gott und den Ungehorsam dem Haupt der Versammlung gegenüber sanktionieren.

Anderseits aber bleibt der Heilige Geist Seiner Aufgabe treu und beschäftigt sich fortwährend mit den Gläubigen. Er ist der Sachwalter, der Tröster, den ihnen der Herr für die Zeit Seiner Abwesenheit gesandt hat. Bis zur Rückkehr Christi beschäftigt Er unsere Herzen mit Ihm. Er ist der treue Elieser, der die Braut in das Land des himmlischen Erben geleitet. Er erweckt immer wieder Knechte für das Werk der Evangelisation und zur Auferbauung des Leibes Christi. Die Quellen, deren sich der Geist bedient, sind heute noch ebenso unversehrt und frisch wie am Anfang, aber sie werden weniger beachtet. Man beschäftigt sich sehr mit dem, was den Menschen ins Rampenlicht setzt. Unter der Wirksamkeit dieses Geistes können die Christen auch heute noch «in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten» verharren (Apostelg. 2,42). Er befähigt sie immer noch, «die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Bande des Friedens» (Eph. 4,3) und dem Worte gehorsam zu sein, durch das Bleiben in dem, was die Heilige Schrift lehrt. Für alle diese Dinge haben wir den Beistand des Heiligen Geistes. Doch kann Er unmöglich die Unordnung in der Christenheit und den Ungehorsam durch die Entfaltung von Wunderkräften anerkennen.

Es ist ein Merkmal der Endzeit, der bösen Tage, in denen wir angelangt sind, dass man viel von Wunderkräften, aber sehr wenig vom Gehorsam dem Worte Gottes gegenüber redet. Handeln nicht immer mehr Gläubige nach dem Grundsatz: «Ein jeder tat, was recht war in seinen Augen»? Wer aber die Erkenntnis, die aus dem einfältigen Glauben an Gottes Wort hervorkommt, verworfen hat, ist geneigt, sich einer fremden, verdächtigen Macht zu öffnen, die mit dem Geiste Gottes nichts gemein hat. Diese von den Menschen bewunderte Macht wird später im «Menschen der Sünde» ihren Höhepunkt erreichen. Denen, welche sich nach übernatürlichen Kräften ausstrecken, stellt Satan als Ersatz für den Heiligen Geist seine Macht zur Verfügung. Der listige Feind verpasst keine Gelegenheit, um seine finsteren Künste zu empfehlen und sie mit dem Namen des Heiligen Geistes zu schmücken. Man braucht nicht besonders hellsehend zu sein, um darin die Vorläufer der «wirksamen Kraft des Irrwahns» zu erkennen, von welchem in 2. Thessalonicher 2 die Rede ist. Diese wird, sobald die Versammlung entrückt ist, zur völligen Entfaltung kommen. Sie zieht schon jetzt eine große Menge von Seelen in ihre Netze, wie eine Spinne ihre Opfer.

Um den Listen des Feindes, dem Urheber aller dieser unschriftgemäßen Bewegungen in der Christenheit, die schließlich zum völligen Abfall führen werden, zu entgehen, wollen wir umsomehr in aller Einfalt vom Worte Gottes abhängig bleiben. Es beschäftigt uns mit Christo und nicht mit uns selbst. Es gibt dem Christen in dieser Welt keinen Platz als nur den eines Zeugen für den verworfenen und verachteten Heiland. Lasst uns bis zu Seiner nahen Ankunft Fortschritte machen in allem, was Ihm wohlgefällig ist, indem wir das, was wir durch Sein Wort als Seinen Willen erkennen, in die Praxis umsetzen.

Zum Wohle aller, die Ihm in Demut gehorchen wollen, hat Gott eine Antwort bereit auf das erhabene Gebet Seines Sohnes, das in der Nacht, in welcher Er überliefert wurde, zu Ihm emporstieg: «Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit.»

«Was hast Du mir zu sagen,
Mein Meister in der Höh‘?»
Will ich in Demut fragen,
Bis ich Dich ganz versteh‘.
«Warum hast Du gehemmet
Aufs neue meinen Lauf?
O sage mir die Antwort,
Ich warte still darauf.»

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