Evangelium Johannes 1,1-34
(Einige an der Konferenz von 1958
in Zürich geäußerte Gedanken)
Allgemeines
Schon in den Tagen des greisen Apostels Johannes waren kräftige Irrtümer im Umlauf. Aber Gott schenkte zu jener Zeit Seinem Volke das vierte Evangelium, das diesen Irrtümern besonders wirksam begegnet. Dieses Evangelium hat nicht den Messias und König Israels zum Gegenstand (Matthäus), nicht Jesum als Knecht (Markus) und nicht den Sohn des Menschen (Lukas). Es hat vielmehr das fleischgewordene Wort, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, den ewigen Sohn zum Hauptinhalt.
«Siehe da, euer Gott!» Diesen Ausruf Jesajas (Kap. 40,9) könnte man als Überschrift über dieses Evangelium setzen.
Im ersten Kapitel steht vieles in Beziehung zu Israel. Wenn wir dieses nicht beachten, werden wir diesen Abschnitt bestimmt nicht richtig auslegen.
In diesem ersten Kapitel werden vierzehn verschiedene Titel oder Herrlichkeiten des Herrn erwähnt: Er ist das Wort, Er ist Gott, der Schöpfer, das Leben, das Licht, der Eingeborene vom Vater, Jesus, Christus, der Herr, das Lamm Gottes, der mit Heiligem Geiste Taufende, der Sohn Gottes, der König Israels, der Sohn des Menschen.
Gott ist auf der Erde geoffenbart worden, nicht im Himmel. Dieses Evangelium beschreibt das, was auf der Erde von Gott kundgemacht wurde. In diesem Buche wird nur sehr wenig vom Himmel gesprochen.
Verse 1 bis 4
An verschiedenen Stellen ist in der Heiligen Schrift von einem «Anfang» die Rede: In 1. Mose 1 vom Anfang aller Schöpfung, in 1. Johannes 1,1 von dem, was das Christentum von Anfang an besaß. Hier aber wird uns die wunderbare Person des Sohnes Gottes vorgestellt. Er hat nie einen Anfang genommen, Er «war» vor jedem Anfang. Und es wird ausdrücklich hervorgehoben: «Alles ward durch dasselbe (ihn), und ohne dasselbe (ihn) ward auch nicht eines, das geworden ist.» Das Wort «Eingeborener» ist ein Titel, der nicht besagen will, dass Er in der vergangenen Ewigkeit einmal geboren wurde. Überall, wo dieser Titel in der Schrift vorkommt, bezeichnet er nur Seine erhabene Vorrangstellung.
In den vier ersten Versen werden vom «Wort» fünf verschiedene Dinge ausgesagt: Es war im Anfang; Es war bei Gott; Es war Gott; alles ward durch dasselbe; in Ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen, oder, wie man auch sagen könnte: das Licht war das Leben der Menschen. In Ihm, durch Sein Leben hat sich Gott geoffenbart. Diese Offenbarung war das Licht der Menschen.
Vers 5
In der natürlichen Welt wird überall, wo das Licht hinfällt, die Finsternis vertrieben. Aber die tiefe moralische Finsternis, in welcher sich die Menschen befinden, hat das im Sohne Gottes erschienene Licht nicht erfasst. Nur die, welche Ihn aufgenommen haben, sind «Licht in dem Herrn» geworden.
Verse 6 bis 9
Johannes, der Täufer, wird deutlich von dem Sohne Gottes unterschieden: Da war ein Mensch, von Gott gesandt… auf dass er zeugte von dem Lichte. Dieser Prophet, der die Anwesenheit des Sohnes Gottes auf der Erde verkündigen durfte, machte dem Volke einen so großen Eindruck, dass der Heilige Geist es für nötig erachtete, hier ausdrücklich zu erklären: Er war nicht das Licht.
Da ist kein Mensch, der von Natur aus nicht zu der Finsternis gehörte. Jeder muss durch dieses «wahrhaftige Licht» erleuchtet werden; es gibt kein anderes.
Verse 10 bis 13
Im Gegensatz zu den andern Evangelien wird der Herr hier von Anfang an als verworfen betrachtet: Die Welt, die doch durch Ihn erschaffen worden war, kannte Ihn nicht, und die Seinigen (Israel) nahmen Ihn nicht an.
Verse 14 bis 18
Im 14. Vers haben wir eine Fortsetzung des ersten Verses: Das Wort, das im Anfang war, das Gott war, ist «Fleisch geworden», Es war bei Gott und wohnte nun unter uns.
Das Wort ward Fleisch, Jesus ist nicht nur vorübergehend «Fleisch» gewesen; Er ist Fleisch (Mensch) geblieben.
Wenn im 14. Vers gesagt wird: «Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater», so mag dies auf die Szene auf dem Berge der Verklärung Bezug haben, wo Petrus und Jakobus und Johannes Augenzeugen «Seiner prachtvollen Herrlichkeit» gewesen waren. Petrus hat in seinem zweiten Briefe davon geschrieben und Johannes mag an dieser Stelle auch daran gedacht haben. Aber auch durch die sieben Zeichen oder Wunder, die in diesem Evangelium beschrieben sind, hat Jesus Seine Herrlichkeit kundgetan: «Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit» (Joh. 2,11).
Er kam zu uns voller Gnade und Wahrheit… und aus Seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade. Gott, der heilige Gott, den keiner der Menschen sehen kann, wohnte in Ihm, der Fleisch geworden war, unter den Menschen. Sie konnten Ihn sehen, mit Ihm reden, Ihn berühren und Ihn hören. Er war der zugänglichste Mensch von allen; Gnade und Wahrheit kennzeichneten Ihn. Die Gnade bereitet das Herz des Menschen zu, die Wahrheit über Gott und über sich selbst zu vernehmen. Die Gnade begegnet den Bedürfnissen und dem Elend, welche die Wahrheit offenbar macht. Jeder Gläubige ist ein Gegenstand dieser Gnade, die in der Person Jesu Christi in ihrer ganzen Fülle auf die Erde gekommen ist.
Der «Schoß des Vaters» ist ein Bild für das wunderbare Liebesverhältnis zwischen dem Vater und dem Sohne. Es bestand schon in der Ewigkeit, fand hienieden seine ununterbrochene Fortsetzung und wird in alle Ewigkeit bestehen bleiben. – Die Tatsache, dass der Jünger Johannes so gerne im Schoße Jesu lag (Joh. 13,23) und dort die Liebe seines Herrn genoss, mag diese Wahrheit illustrieren.
Verse 19 bis 28
Die Juden fragten Johannes: Wer bist du? Nachdem er auf alle ihre Vermutungen mit nein geantwortet hatte, sprach er: «Ich bin die Stimme eines Rufenden». Nur die Stimme des rufenden Gottes! Er beansprucht für sich keinen Titel und ist für uns überhaupt das schöne Vorbild eines Dieners. Er weist von sich weg auf Christum hin. Er sucht die Menschen nicht um sich selbst zu sammeln. Durch seinen Dienst verlassen ihn vielmehr zwei seiner Jünger und folgen Jesu nach. Und später sagt er: «Er muss wachsen, ich aber abnehmen» (Joh. 3,30). Wenn sich auch dieser letzte Ausspruch zunächst auf die zu Ende gehende Mission dieses Vorläufers des Herrn bezog, so ist dies anderseits ein Grundsatz, den wir in unserem Leben und in unserem Dienst mehr und mehr verwirklichen sollten.
Die Stelle in Maleachi 4,5: «Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag des Herrn kommt, der große und furchtbare», hat sich in Johannes, dem Täufer, noch nicht erfüllt. Wohl ging er «in der Kraft des Elias» vor dem Herrn her (Luk. 1,17) und er wäre auch «Elias, der kommen soll» gewesen, wenn das Volk den Herrn und was Er ihm sagte, hätte annehmen wollen (Matth. 11,14). Aber bei den zwei Zeugen in Offenbarung 11 werden Zeichen gefunden, die sich auch im Dienste Elias ereignet haben: «Diese haben Gewalt, den Himmel zu verschließen, auf dass während der Tage ihrer Weissagung kein Regen falle…»
Verse 29 bis 30
Der Ausdruck: «das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt wegnimmt», gab in der Christenheit Anlass zu irrigen Auffassungen. Es steht hier nicht: das Lamm Gottes, welches die Sünde der Welt trägt. Andere Stellen der Heiligen Schrift zeugen davon, dass Christus die Sünden Vieler getragen hat. Hier werden wir vielmehr auf andere Tatsachen hingewiesen: Das Lamm Gottes hat am Kreuze die Grundlage dafür geschaffen, dass die Sünde aus der Welt weggenommen und die ewigen Ratschlüsse Gottes ausgeführt werden können: Christus wird im Hinblick auf das Tausendjährige Reich auf Grund Seines Todes alle Dinge mit Gott versöhnen (Kol. 1,20) und dann auch neue Himmel und eine neue Erde aufrichten, in welchen Gerechtigkeit wohnt. Es handelt sich also um die Wiederherstellung der Grundlage der Beziehungen Gottes zur Erde.
Verse 31 bis 34
Es ist auffallend, dass Johannes der Täufer zweimal bezeugt: «ich kannte ihn nicht». Jesus war doch ein paar Monate nach ihm geboren worden und war bei seinen Verwandten aufgewachsen. Johannes musste Ihn kennen als Den, über welchen wunderbare Dinge vorausgesagt worden waren. Aus den andern Evangelien ersehen wir auch, dass Johannes Jesum als den Größeren anerkannte, schon bevor der Heilige Geist auf Ihn herabgestiegen war. – Aber Johannes kannte Ihn noch nicht als Den, der mit Heiligem Geiste tauft, noch nicht als den Sohn Gottes. Darum sagte Gott zu Johannes: «Auf welchen du sehen wirst den Geist herniederfahren und auf ihm bleiben, dieser ist es, der mit Heiligem Geiste tauft.»
Der Geist fuhr wie eine Taube aus dem Himmel hernieder und blieb auf dem Sohne Gottes. Die Taube ist ein Bild des Friedens, der Gnade, der Sanftmut und der Reinheit. Die Taube Noahs kam wieder zur Arche zurück, weil sie in der Welt draußen keinen reinen Platz fand, wo sie sich niedersetzen konnte. So fand auch der Heilige Geist, bevor das Erlösungswerk am Kreuze vollbracht war, keinen Menschen auf der ganzen Erde, bei dem Er wohnen konnte, als nur Jesum. Bei Ihm war alles, Seine Gedanken, Seine Worte und Werke, Sein ganzes Leben in Übereinstimmung mit dem Vater und dem Heiligen Geiste. Auch Sein Dienst entsprach dem Frieden, der Gnade, der Sanftmut und Reinheit des Geistes.
Auf die Gläubigen konnte der Heilige Geist erst herabkommen, nachdem sie durch das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, von aller Sünde gereinigt worden waren. Für sie erschien Er in der Gestalt zerteilter, feuriger Zungen. Sie wurden dadurch befähigt, das Evangelium in verschiedenen Sprachen zu verkündigen. Gleichzeitig richtete Er aber auch durch die Kraft des Wortes Gottes in den Herzen und Wegen der Gläubigen alles, was mit Gott nicht in Übereinstimmung ist. Feuer ist immer ein Bild des Gerichts.
Wer kann mit Heiligem Geiste taufen, als nur der, welcher Gott ist? Diese Taufe hat am Pfingsttage stattgefunden (Apostelg. 2), nachdem der Herr Sein Werk vollbracht hatte, nachdem Er auferweckt und zur Rechten Gottes erhöht worden war. In diesem einen Geiste sind wir alle zu einem Leibe getauft worden (1. Kor. 12,13). Grundsätzlich ist diese Taufe also schon geschehen. Praktisch aber wird jeder Mensch, der wiedergeboren wird und den Heiligen Geist empfängt, dieser Taufe teilhaftig und dem «Leibe» als «Glied» hinzugefügt.