Heilige

Heilige

Unter den manchen vielsagenden Namen, welche in der Schrift den Kindern Gottes gegeben werden, kommt keiner so oft vor wie der Name «Heilige». Immer und immer wieder begegnen wir diesem Ausdruck und wir können nicht anders, als annehmen, dass sie im allgemeinen so genannt wurden. Beweise und Beispiele davon finden sich so zahlreich im Worte, dass jeder, und wäre er hierüber noch so sehr zum Zweifel geneigt, sich ohne Mühe von der Richtigkeit dieser Annahme überzeugen kann.

Es war nicht ein Name, durch welchen nur einige wenige aus der Menge der Gläubigen ausgezeichnet wurden, die vielleicht einen hohen Grad persönlicher Heiligkeit erlangt hatten. Im Gegenteil: Das Kindlein und der Vater in Christo, der erst gestern bekehrte und der gereifte Christ, jener, der die Rüstung erst anzog und dieser, der sie bald ablegen durfte, alle waren gleicherweise Heilige. Denn es war die Berufung Gottes, welche sie dazu gemacht hatte und nicht etwas, das sie selber getan hatten.

Wenn Paulus nach Rom, Korinth, Ephesus, Philippi und Kolossä schrieb, so waren seine Briefe an die dort wohnenden Heiligen gerichtet. Auch die darin enthaltenen Ermahnungen für ihr Leben und ihren Wandel gründete sich auf die Tatsache, dass sie Heilige waren. Der Apostel ging nach Jerusalem, um den Heiligen zu dienen (Röm. 15,25). Die Sammlung, die in Macedonien und Achaja veranstaltet wurde, war für die Dürftigen unter den Heiligen in Jerusalem (V. 26). Wünschte er, dass sie für ihn beteten, so war es, auf dass sein Dienst den Heiligen dort angenehm werde (V. 31). Er empfahl ihnen auch Phöbe, auf dass sie diese «der Heiligen würdig» aufnehmen möchten (Kap. 16,2).

Die Gläubigen in Korinth, welche er so strenge tadeln muss, nannte er berufene Heilige, das heißt solche, die durch göttliche Berufung in diese Stellung erhoben worden waren, und dies gleich am Anfang ihrer christlichen Laufbahn. Der Apostel wunderte sich (Kap. 6), dass sie es wagten, vor den Ungerechten zu rechten, anstatt vor den Heiligen. «Wisset ihr nicht», frug er sie (Vers 2), «dass die Heiligen die Welt richten werden?» Von dem Haus des Stephanas sagte er, dass sie sich selbst den Heiligen zum Dienst verordnet hätten (1. Kor. 16,15).

Diese Stellen mögen genügen, um zu beweisen, dass Gott die Seinen in dieser Welt als Seine Heiligen betrachtet und bezeichnet.

Warum sollte denn dieser Name heutzutage von so vielen Heiligen weder anerkannt noch angewandt werden? Wir wissen, dass die römische Kirche darauf Anspruch macht, gewisse hervorragende Personen nach ihrem Tode für Heilige erklären zu können. Für sie gibt es nicht lebende Heilige auf der Erde, obwohl ja in Wahrheit jemand schon diesseits des Grabes ein Heiliger gewesen sein muss, um es jenseits desselben zu sein. Und auch der Leser dieser Zeilen gehört entweder zu den Heiligen oder ist noch ein verlorener Sünder.

Findet sich aber nicht bei vielen noch der verborgene Gedanke, dass es Anmaßung wäre, sich als zu den Heiligen gehörend zu betrachten, obwohl sie hoffen, dass sie sich im Himmel einst unter ihrer Zahl finden werden? Doch, wenn Gottes Wort dir sagt, lieber Mitchrist, dass du jetzt zu ihnen gehörst, ist es dann wahre Demut, das nicht annehmen zu wollen? Wenn das Recht zu diesem Namen nur durch große persönliche Heiligkeit errungen werden könnte, müsste wohl jede demütige Seele bekennen, dass sie keinen Anspruch darauf erheben könne. Aber es ist nicht so. Von dem Augenblick an, wo der Gnadenruf Gottes uns erreichte und uns aus unserem Sündenschlaf aufweckte und errettete, waren wir geheiligt, das heißt für Gott abgesondert und Seinen Heiligen zugezählt.

Es gibt in dieser Beziehung auch keine Grade oder Verschiedenheiten unter den Heiligen. Petrus, Jakobus und Johannes waren nicht höhere Heilige als es die zu Jesu Füßen weinende Sünderin war, deren Sünden ihr vergeben wurden. Wohl waren die Apostel zu höherem Dienst berufen und dienten dem Herrn mit mehr Hingabe als vielleicht viele andere, aber dies hat mit dem uns beschäftigenden Gegenstand nichts zu tun. Und es mag hier beiläufig bemerkt werden, dass der Brauch, die Apostel Sankt Paulus, Sankt Petrus, Sankt Johannes zu nennen, die falsche Idee unterstützt, dass die Bezeichnung «Heilige» nur diesen hervorragenden Dienern des Herrn gehöre. Vielleicht wird man mir entgegnen, diese Namen seien besonderer Hochachtung würdig, welche eben durch diese besondere Benennung ausgedrückt werde. Doch wenn wir diese Männer Gottes auch über die Maßen hochachten sollen um ihres Werkes willen, so wird doch durch diese Art, es zu zeigen, ein Gedanke genährt, der nicht der Wahrheit gemäß ist. Übrigens könnte man dann auch ebensogut von den Frommen des Alten Testamentes so sprechen und Sankt Abraham, Sankt Moses, Sankt Elias sagen, denn gewiss waren auch sie Heilige Gottes. Aber nach Gottes Wort ist auch der Sünder, der erst gestern bekehrt worden ist, ebensogut ein Heiliger. Überhaupt ist es auffallend, dass der Ausdruck «Heilige» im Neuen Testament immer in der Mehrzahl gebraucht wird.

Ist nicht zu befürchten, dass der Grund, warum so viele nicht anerkennen wollen, dass sie zu den Heiligen gehören, darin liegt, dass ihr Wandel eben wenig in Übereinstimmung ist mit dem Charakter, der einen Heiligen kennzeichnen sollte. Sie fühlen, ein so hohes Bekenntnis würde einen dementsprechenden Wandel fordern und ziehen vor, das Bekenntnis zu erniedrigen, weil dann auch in bezug auf den Wandel nicht so viel von ihnen erwartet werden kann. Aber ist es das, was Gott wünscht? Sollen wir leugnen, dass wir Heilige sind, um uns nicht so strenge über unsere Sünden richten zu müssen? Nein, O Mitgläubiger, du gehörst zu den Heiligen! Und wenn dein Leben in der Familie und in der Öffentlichkeit nicht diesen Charakter trägt, so bitten wir dich, richte dich darüber in der Gegenwart Gottes und gib die Dinge auf, welche du dort verurteilen musst – aber leugne nie, dass du das bist, wozu die Gnade Gottes dich gemacht hat.

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